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Ausstellungsbegehung mit Herrn Bukalemun

(Wien) MAK: Zeichen, gefangen im Wunder

Antonio Cosentino, „Tin City“, 2012; Ausstellungsansicht, MAK Wien, 2013; © Autor

Antonio Cosentino, „Tin City“, 2012; Ausstellungsansicht, MAK Wien, 2013; © Autor

Emre Hüner, „a Little Larger than the Entire universe“, 2012; Ausstellungsansicht, MAK Wien, 2013; © MAK/Katrin Wißkirchen

Emre Hüner, „a Little Larger than the Entire universe“, 2012; Ausstellungsansicht, MAK Wien, 2013; © MAK/Katrin Wißkirchen

Cevdet Erek, „re-Illumination“, 2013; Ausstellungsansicht, MAK Wien, 2013; © MAK/Katrin Wißkirchen

Cevdet Erek, „re-Illumination“, 2013; Ausstellungsansicht, MAK Wien, 2013; © MAK/Katrin Wißkirchen

Mein Begleiter hat sich nicht verspätet. Das könne er nicht, denn die Ausstellung sei für ihn von großem Interesse und er schätze sich überaus glücklich, mich für den Besuch der Ausstellung  gewonnen zu haben. Diesen Gefallen tue ich ihm gerne, denn seine Gegenwart ist auch für mich erfreulich. Sein Name ist Bukalemun und er ist kein Österreicher. Seine Ahnen sind weit entfernt verwurzelt. Gerne und oft spricht der alte Herr mit den großen Augen und dem massigen Körper über seine Heimat, die er, wie viele andere, in früher Jugend verlassen musste.

Unmittelbar nach dem Eintreten in die Halle wenden wir uns ein paar am Boden stehenden Modellen zu. Sie muten modernistisch an und sind aus bunt bedrucktem Blech gebogen und geschnitten. Herr Bukalemun umkreist mit bedächtigen Schritten die Gruppe und liest den Ausstellungstext. Es handelt sich um “Tin City”, gefertigt aus weggeworfenen Öldosen von Antonio Cosentino. Mir gefällt nach eingehender Betrachtung das Modell “Time Regulation Institute”. Herr Bukalemun bemerkt dazu, dass Istanbul sehr aufstrebend ist und die Wirtschaft immer mächtiger werde. Da könne es schon passieren, dass Sachen in die Welt gesetzt werden, die niemanden von nutze seien. Doch der Überfluss wäre ohne die Arbeit des Volkes nicht möglich. Er zeigt dabei auf die vielen Ölzweige, die eines der Bleche zieren.

Wir ziehen weiter. Stellwände lassen unseren Schritte mäandern, bis wir nach einer Wende an einem hellen Ort gelangen. Unser Augenmerk ist abermals auf den Boden gerichtet und spüren die seltsame Anziehungskraft, die diese Kunst auf uns ausübt. Herr Bukalemuns Augen zitterten förmlich. Das rechte Auge erspähte Zimmerpflanzen im Hintergrund, während das linke Auge Objekte im Vordergrund abtastet. So blieb auch das kleinste Detail des Kunstwerkes vor ihm nicht unentdeckt. Sein Gesichtszüge entspannen sich und er spricht:”Emre Hüner! Wir sehen gerade A Little Larger Than the Entire Universe.” Doch ich konnte bei bestem Willen nichts erkennen. Gegenstände, zerfressene Schaumgummiteile und viele andere Materialien liegen scheinbar ohne Zusammenhang auf niederen Podesten. An einer Stellwand oben erkenne ich ein paar Zimmerpflanzen und am Boden, seltsame Zeichen. “Lieber Freund, erklären Sie mir bitte dieses Gemenge.” - “Gerne!” Sein linkes Auge ist auf einem Helm gerichtet. “Das hier zum Beispiel verweist auf den amerikanischen Fortschrittsglauben während dem Kalten Krieg. Vieles, was wir hier sehen, symbolisieren die Ruinen unserer Geschichte.” - “Meinen Sie, Emre Hüner trauert darum?” - “Er rekonstruiert Artefakte aus Keramik, die wie archäologische Fundstücke aussehen. Daneben erkennt man Miniaturen, die wie utopisch Modelle aussehen. Dünne Stäbe verbinden die Gegenstände und korrelieren ihre Bedeutung zu etwas Höherem.” - So antwortete ich darauf: “Diese Unzahl an Unförmigem und Geformtem ordnen sich irgendwie enzyklopädisch ein, doch werde ich nicht schlau daraus, wie das zu lesen ist.” Herr Bukalemun nickte bedächtig und wendete seinen massigen Körper mir zu: “Wir können von einem einzigen Kunstwerk ausgehend, nicht auf die Absichten des Künstlers schließen aber was wir können, ist, uns selbst die Frage zu stellen, warum Utopien, die dem technischen Fortschritt geschuldet sind, scheitern müssen.” - “Sehen Sie diese Schaumgummiteile?” Ja! - plötzlich erkenne ich einiges besser. “Da verweist der Künstler auf Henry Fords mißglücktes Fordlândia in Amazonien. Ford errichtete eine Kautschukplantage nach damaligen modernen Maßstäben und scheiterte an der Natur und an den Einwohnern, die den amerikanischen Arbeitsbedingungen nicht Folge leisten wollten. Heute ist Fordlândia eine Geisterstadt.”

Die Zeit begleitete uns ein Weilchen mit und flog hernach dahin. Schließlich näherten wir uns einem Werk des Künstlers Cevdet Erek. Hier nimmt es eine zentrale Position ein, indem es auf die Architektur Bezug nimmt. Letztes Jahr auf der Documenta 13, sah ich von ihm eine riesige Soundinstallation, die in einer leeren Halle eines typischen Kaufhauses installiert war. So überrascht mich jetzt etwas gänzlich Anderes. “Ich stelle fest, dass Cevdet Erek ein Künstler ist, dessen Handschrift nicht so leicht wiederzuerkennen ist”, meinte ich. Herr Bukalemun bewunderte den leeren Raum, der von Licht durchflutet ist. Nicht der geringste Hauch eines Luftzuges ist zu spüren. Stattdessen vernimmt er den dumpfen Schall, der aus Lautsprechern tönt. Er blickt zur Decke, von wo milchiges Tageslicht einfällt. Nun erblickt er den riesigen weißen Vorhang, der uns umgibt. “Das erinnert mich ein wenig an die Waschmittelwerbung mit dem weißen Riesen!”, sagte Herr Bukalmun ganz leise und schmunzelt. Scherzen tut er äußerst selten. “Der Künstler versteht was von Räumen. Seine ganze Inspiration fällt nicht seiner eigenen Biografie zum Opfer, sondern setzt sich mit dem Ort auseinander und der Ort mit seinem Werk. - Ist das nicht gelungen?” meinte ich freudig und hoffe auf Zustimmung des Hochverehrten. Ein leises Brummen gibt er von sich und verschwindet hinter dem Vorhang.

Später. Wir verabschieden uns vor dem Museum und beide gehen ab jetzt ihre eigene Wege. Er trottete nach Osten und meine Füße trugen mich nach Westen. Doch gerade jetzt spüre ich den Blick seines rechten Auges, das nach Westen blinzelt.

 

Zeichen, gefangen im Wunder - Auf der Suche nach Istanbul heute ist noch bis zum Sonntag, den 21. April 2013 zu sehen. Eingang: Weißkirchnerstraße.

Credits

Abbildungen oben:

  • © Andreas Herok